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Aktivitäten

Abitur für Frauen - ungeheuerlich

Reifeprüfung für Viktoria und Elisabeth zu Bentheim und Steinfurt um die Jahrhundertwende

Von Günther Hilgemann

 
Die Fürstenfamilie im Jahr 1904.  

Jährlich werden am Weltfrauentag Mahnungen wegen der Ungleichbehandlung von Mann und Frau laut. Die gymnasiale oder gar akademische Bildung von Mädchen war bis vor rund 125 Jahren ein gesellschaftliches Tabuthema. Erst 1893 wurde in Karlsruhe das erste deutsche Mädchengymnasium eröffnet. Das Projekt drohte zu scheitern, denn Vertreterinnen der Frauenbewegung liefen auf, um sich das „ungeheure Geschehen" anzuschauen. Mädchen konnten nicht so belastbar sein und sich unmöglich ernsthaft in Lerninhalte vertiefen wie Jungen. Schließlich galt es als unschicklich, wenn Frauen sich in geistige Arbeit vertieften.
Am Burgsteinfurter Gymnasium Arnoldinum waren es Emmy Cohen und Margarete Scheele, die 1925 als erste Frauen ihr Abitur ablegten.Prinzessin Viktoria zu Bentheim und Steinfurt (1887-1961) war das vierte von acht Kindern des Fürstenpaares Alexis und Pauline von Waldeck-Pyrmont. Viktoria und ihre ein Jahr jüngere Schwester Elisabeth wurden wie damals in Adelskreisen üblich von Privatlehrern unterrichtet. Der Wunsch, das Abitur zu machen, war zu jener Zeit fast utopisch. Mädchen am alt-ehrwürdigen Arnoldinum zuzulassen, war um 1900 undenkbar. Auf Drängen ihrer Tante Emma (Königin der Niederlande) durften die beiden Schwestern schließlich das Gymnasium Hammonense in Hamm besuchen. Aufgrund des gemeinsamen reformierten Bekenntnisses hatten schon seit dem 17. Jahrhundert enge Beziehungen zur Hohen Schule zu Burgsteinfurt bestanden.
Nach dem erfolgreichen Abitur 1912 war die Frage eines Studiums die nächste Klippe. Wieder war es die Königliche Tante, die bei der Verwandtschaft am preußischen Hof in Berlin vorsprach. Viktoria durfte sich mit kaiserlicher Sondergenehmigung an der Technischen Hochschule Berlin für ein Architekturstudium einschreiben. Schwester Elisabeth wurde Meisterschülerin eines bekannten Malers.

Als nach dem Ende der Kaiserzeit und den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen auch die adelige Welt zu

sammenbrach, suchte Viktoria in der immer noch heilen Welt von Burgsteinfurt nach beruflichen Aufgaben. Zunächst entwarf sie für die Schlossmühle, die als unscheinbarer Zweckbau mit Verfallserscheinungen mehr zum Schandfleck gegenüber dem Schloss geworden war, neue Pläne. Ein zweites Geschoss mit ortsüblichem Fachwerk wurde aufgesetzt. Seit genau 100 Jahren präsentiert sich das markante Gebäude heute noch in der gleichen Gestalt. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Erinnerung an die Gefallenen wachgehalten werden sollte, plante die Evangelische Kirchengemeinde eine Gedenkstätte an der Großen Kirche. Pläne von namhaften Architekten fanden keinen Zuspruch. Als eine Skizze der Prinzessin auftauchte, war die Begeisterung groß. 1922 wurde das Ehrenmal eingeweiht.

Die Initialen der Entwurfsverfasserin am Sockel des Ehrenmals im Bagno: VB.

Foto: Hilgemann

Es fehlte eine Gedenkstätte auch für Überkonfessionelle. Ein Grundstück am Bagnoeingang eingang stellte der Fürst zur Verfügung. Die Ablehnung der Prinzessin, auch hier einen Entwurf zu fertigen, muss man wohl als Glaubensfrage einordnen.
Als aber die Entwürfe von auswärtigen Architekten durchfielen, bekniete man erneut die Prinzessin. In der Sitzung des Denkmalausschusses vom 16. Mai 1926 konnte der Vorsitzende mitteilen, dass die Prinzessin Viktoria zu Bentheim und Steinfurt einen Entwurf für das Kriegerehrenmal angefertigt habe. Beide Ehrenmale - im Bagno und an der Großen Kirche - tragen im Sockel die eingemeißelten Initialen VB, Victoria Bentheim.
1935 zog Victoria nach Mittenwald in Oberbayern, wo sie fernab der Familie als Privatarchitektin arbeitete.Dort setzte sie sich auch für die Opfer der Nazi-Herrschaft ein. In ihrem Haus beherbergte sie unter Lebensgefahr eine geflüchtete Jüdin. 1961 starb sie im Alter von 74 Jahren in Garmisch-Patenkirchen.