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Tödliche Medizin der Nazis

Dr. Willi Feld (Mitte) mit seiner Frau im Gespräch mit Gottfried Bercks vom Heimatverein. Foto: Menebröcker

Mit einem der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte beschäftigte sich der Historiker Dr. Willi Feld gemeinsam mit seiner Frau am Dienstagabend (15.10.) in der voll besetzten Niedermühle. Sein Thema: „Tödliche Medizin – Opfer des NS-Gesundheitssystems in Burgsteinfurt und Borghorst“. 120 000 „lebensunwerte Menschen“ seien während der Nazi-Zeit ermordet worden, zwölf Opfer in Steinfurt nachgewiesen, die Zahl dürfte aber noch höher sein, so Dr. Feld. Hinzu kamen Zwangssterilisierungen, um der „Degeneration des deutschen Volkskörpers“ entgegenzuwirken. Der Druck sei zum Teil so immens gewesen, dass die betroffenen die Sterilisation selbst beantragt haben.  Es wurden so genannte Erbgesundheitsgerichte eingerichtet, für Steinfurt war ein Gericht in Münster zuständig.  Betroffen waren unter anderem Blinde, Taube Epileptiker, Schizophrene, Alkoholiker, Asoziale.

Während der Zeit des Nationalsozialismus sei die „Rassenpflege“ als Lebensfrage eines Volkes dargestellt worden. 1939 erschien in der örtlichen Burgsteinfurter Presse ein Artikel über den Rassegedanken, in dem die Notwendigkeit der „Bereinigung“ wie bei Ackerbau und Viehzucht dargestellt wurde, so Dr. Feld weiter.

Der Referent schilderte namentlich mehrere Einzelfälle aus den Steinfurter Ortsteilen, darunter auch Opfer, die sich selbst das Leben nahmen, „weil sie nicht damit fertig wurden, zu den ‚Lebensunwerten´ zu gehören“. Den Rassegesetzen gab der Historiker eine Mitschuld an diesen Selbstmorden.

Er ging weiter auf die Aktion T4 ein, eine Tarnorganisation, die für die Ermordung von Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen verantwortlich war. In Berlin, Tiergartenstraße 4, wurde dazu eine Zentralstelle eingerichtet.  Hitler hatte dafür keine staatliche Institution beauftragt, sondern seine private Kanzlei. Sie war zuständig für die Erfassung der potenziellen Opfer durch Meldebögen, die die Anstalten für ihre Patienten ausfüllen mussten, sowie für die Bestellung von ärztlichen Gutachtern. Diese  zentralstelle traf anhand von Kopien der Meldebögen die Entscheidung über das Schicksal der Kranken und Behinderten und wählten geeignete Tötungsanstalten aus.

Rund 30000 Krankenakten von Opfern der NS-Euthanasie sind im Bundesarchiv in Berlin gespeichert. Sie enthält unter anderem Namen, Geburtsdaten und Anstaltsorte zu den Opfern der Tötungsverbrechen. Ein Gutachten des früheren Vizepräsidenten des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Ehrhardt Körting, aus dem Jahr 2014, kam zu dem Schluss, dass durch Wiedergabe von Namen, Geburts- und Sterbedaten der Opfer keine schutzwürdigen Belange der Angehörigen verletzt würden.

„Nach intensivem fachlichen Austausch und vor dem Hintergrund des breiten Einvernehmens darüber, dass im Zeitalter der Inklusion die Opfer der NS-Euthanasie nicht länger verschwiegen werden dürfen und ein liberalerer Umgang mit den archivischen Quellen zur NS-"Euthanasie" im Interesse der wissenschaftlichen und familiengeschichtlichen Forschung geboten ist, hat sich das Bundesarchiv zur Veröffentlichung der Erschließungsdaten entschlossen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundesarchivs vom 30. August 2018.

Wie Dr. Feld in der Niedermühle berichtete habe auch er sich nach eingehender Überlegung dazu entschlossen, die Namen der Opfer aus Burgsteinfurt und Borghorst öffentlich zu nennen. Seinem Vortrag folgte zunächst betretenes Schweigen.