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Handel in Burgsteinfurt
Mein Vater Heinrich Braunschweig kam 1936 aus Recke nach Burgsteinfurt, um an der Kirchstraße 6 ein Kolonialwarengeschäft zu eröffnen. Der Name Kolonialwaren drückt aus, dass wir in unserem Angebot auch Gewürze hatten, die aus den Kolonien eingeführt werden mussten. Daneben gab es noch die Feinkostläden, die einen höheren Standart an Waren, wie z.B. Sardellenpaste, Rauchfleisch usw. anboten und dazu oft auch noch eine Kaffeerösterei besaßen.
Die meisten der Kolonialwarengeschäfte oder wie man im Volksmund sagte „Tante Emma Läden" sind aus kleinen Stubenläden entstanden, die sich nach und nach entwickelten. So war es auch bei uns. Vor dem Krieg war der Großhändler Schnege aus Rheine unser Lieferant. Da zur damaligen Zeit der Kunde noch König war, brachten wir die im Geschäft verkauften Waren direkt in die Häuser unserer Kunden. Das war für mich als kleiner Junge eine gute Gelegenheit, die ersten Pfennige zu verdienen, die dann bei Sundag in Eis umgesetzt wurden.
Von meinem Vater liegt mir noch eine Anzeige von 1938 vor, die folgendermaßen lautete:
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1943 wurde unser Geschäft an der Kirchstraße ausgebombt, wobei drei Angestellte ihr Leben lassen mussten. Noch während des Krieges bauten meine Eltern an der Hohen Schule eine neue Existenz auf. Zu dieser Zeit wurden uns die Waren nicht mehr angeliefert, sodass mein Vater schon morgens in der Früh mit Pferd und Wagen zu den Einkaufsmärkten nach Münster fahren musste, um unseren Wareneinkauf zu tätigen. Ein zweiter Schicksalsschlag traf uns dann 1945, als unser Laden an der Schulstraße dem Brandbombenangriff auf Burgsteinfurt zum Opfer fiel. So standen meine Eltern, als ich aus dem Krieg kam, vor dem Nichts. Ab 1938 hatte ich eine Lehre als Rechtsanwalt- und Notargehilfe gemacht. Nach Lehrabschluss wurde ich zur Marine eingezogen, wo ich auf einem Minensuchboot eingesetzt war. Da mein älterer Bruder im Krieg blieb, war es für mich selbstverständlich, zu Hause mit anzupacken. Wir hatten zwar an der Hohen Schule ein Ruinengrundstück aber kein Geschäft. So pachteten wir erst im Haus Röttgering an der Wasserstraße ein kleines Ladenlokal, um dort unser Kolonialwarengeschäft weiter betreiben zu können. Wir hatten das Glück, von der Militärregierung zur Lebensmittelversorgung der Burgsteinfurter Bevölkerung einen umgebauten Militärwagen als Lieferwagen zu bekommen. Mit diesem fuhren wir jeden Morgen um 5 Uhr zu den Großmärkten in Rheine oder Münster, um mit Hilfe von Bezugsscheinen einzukaufen. Wenn wir dann nach Burgsteinfurt zurückkamen, standen schon die Kunden vor unserm Geschäft Schlange, um von den Waren, die wir mitgebracht hatten, überhaupt noch etwas mitzubekommen.
Der Verkauf durfte nur im Rahmen der von unseren Kunden vorgelegten Lebensmittelmarken erfolgen. Für uns war es eine mühevolle Kleinarbeit, diese dann auf die entsprechenden Karten aufzukleben und bei der Stadtverwaltung einzureichen, um dafür neue Bezugsscheine zu erhalten. Frischwaren wie Obst, Gemüse und Kartoffeln bezogen wir direkt von den Bauern. Ich erinnere mich noch gut, dass wir zu bestimmten Zeiten täglich 60 - 70 Zentner Kartoffeln von den Bauern bekamen, die in kleinen Mengen (dafür brachten die Kunden eigene Taschen und Körbe mit) verkauft wurden. Das galt auch für alle anderen Waren des täglichen Bedarfs. Nichts war fertig verpackt, so wie wir das heute kennen, sondern alles wurde lose abgewogen und in kleinen Mengen zu ½ oder ¼ Pfund verkauft, in Spitztüten oder Bodenbeutel eingetütet. Diese Abwiegevorgänge sind von uns oft schon vorbereitet worden, um die Kunden dann in den Geschäftszeiten schneller bedienen zu können.
Das Warenangebot beschränkte sich damals neben den Frischwaren auf Mehl, Zucker, Salz, Reis, Nudeln, Haferflocken, Bonbons, Zwieback, Kaffee und Marmelade. Das Kaffeeangebot bestand aus „Kathreiners Malzkaffee" und „Vox Kaffee". Dieser wurde dann meistens nur in Mengen von 50 Gramm verlangt und sollte dann noch gemahlen werden. Da wir sehr viel Arbeiterkundschaft hatten, ist in dieser Zeit nur selten bar bezahlt worden. Die Ausgaben der einzelnen Kunden wurden im Laufe der Woche ins Buch geschrieben und dann am Wochenende, wenn es Lohn gegeben hatte, bezahlt.
Nach der Währungsreform trat dann eine grundlegende Änderung ein. Nicht nur, dass fast alles wieder eingekauft werden konnte, sondern auch die Waren wurden wieder von den Großhändlern auf Bestellung frei Haus geliefert. Die Regale und Schaufenster füllten sich, und es bildeten sich auch keine Schlangen mehr. Allerdings hatten wir einen langen Arbeitstag und mussten uns immer wieder neu auf die jeweiligen Kundenwünsche einstellen. Je mehr Geld vorhanden war, um so mehr stieg das Warenangebot. Wein, Schnaps, Essig und Öl wurden bei uns aus großen Korbflaschen abgefüllt.
Neben Berkenbos hatten wir uns einen Namen für Fischverkauf gemacht. So gingen teilweise zwei Zentner Fisch pro Woche über unsere Ladentheke. 1949 sind wir dann nach dreijähriger Bauzeit in unseren Neubau an der Hohen Schule eingezogen. Hier hatten wir gute Voraussetzungen geschaffen, um einen großen Kundenstamm betreuen zu können. Da ich damals immer die Schaufenstergestaltung von Karl Schäfer bewunderte, der Filialleiter bei Kessner am Markt war, schaute ich mir für unser Schaufenster bei ihm einiges ab. Der Laden wurde hauptsächlich im Familienbetrieb mit einer Angestellten und zwei Lehrlingen geführt. Ich kümmerte mich insbesondere um den Einkauf, während meine Frau die Seele des Verkaufs war.
In den 50er und Anfang der 60er Jahre liefen die Geschäfte gut. Jedoch dann machte sich der Einfluss der Großmärkte immer mehr bemerkbar, die waggonweise einkaufen konnten und dadurch die Wettbewerbschancen des Einzelhändlers erheblich beschnitten. So hatten wir noch 1967 versucht, dieser Misere durch den Anschluss an die Einkaufskette Edeka zu begegnen. Jedoch bereits 1970, als zusätzlich zu erkennen war, dass keines der Kinder den Laden übernehmen wollte, haben wir dann schweren Herzens unser Kolonialwarengeschäft aufgegeben.
Hermann Hüging, Jahrgang 1938, wusste zu berichten, dass er als kleiner Junge regelmäßig von den Bäckern Veltrup oder Wahlbring Brot holen musste. In seinen Bollerwagen (im Winter mit dem Schlitten) gingen jeweils 72 Mischbrote oder 52 Kassler hinein. Auch beim Fischverkauf war seine Hilfe stets erforderlich. So fuhr er am Gründonnerstag mit dem Fahrrad vollbepackt nach Hollich, um die Stammkunden mit dem vorher bestellten Fisch zu bedienen. Hügings gehörten von Anfang an der Einkaufsgenossenschaft Rewe an. Der Verkauf von Frischmilch war den Milchhändlern vorbehalten. Erst später, nachdem Hermann Hüging sich der „Kleinen Milchprüfung" unterzogen
hatte, durfte er Milch auch über seine Ladentheke verkaufen. Obwohl drei größere Konzerne seit Anfang der 50er Jahre in Burgsteinfurt ihre Filialen hatten (Kaiser's Kaffee, Kessener, Hill), gab es trotzdem eine Vielzahl von „Tante Emma Läden", die oft von den Inhabern in Kombination mit Bäckerei, Gaststätte, Milchverteilung usw. geführt wurden.
In Sellen gab es den Kolonialwarenladen Hemker, genannt „Söten Titt".
Anfang der 60er Jahre haben dann Hermann Demtschück, Kohlstrunk 3, Franz-Josef Gräbner, Leererstraße 53, Gisela Krohme, Goldstraße 57 und der Konsum, Lindenstraße 1 die zu der Zeit bereits geschlossenen „Tante Emma" Läden ersetzt.
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